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Heinz Cibulka Bei Nitsch mache ich eine Ausnahme
Interview von Carl Aigner |
Carl Aigner: In dreifacher Hinsicht gibt es bei Dir Verbindungen zum Aktionismus von Hermann Nitsch: als «Model» in den sechziger Jahren, als Beginn Deines photokünstlerischen Diskurses und als «Dokumentarist» der Aktionen von Nitsch. Wie siehst Du die Gewichtung dieser drei Aspekte? Heinz Cibulka: Unter dem Einfluß meiner Freunde Rudolf Schwarzkogler und Nitsch war ich vorerst auf den Bereich bildende Kunst hin orientiert. Durch das Österreichische Filmmuseum und meine frühe Freundschaft mir Peter Kubelka lernte ich aber parallel zum Wiener Aktionismus Bildsprachen des Films kennen. Eine Spur lehrte mich die Ansprache aller menschlichen Sinne an einem, als Theater verstandenen Ort, in einer künstlerisch gestalteten Ordnung. Andrerseits lernte ich im Licht-Spiel-Theater des Kinos künstlerische Konzepte kennen, die über Projektionen verwirklicht wurden. So konnte ich bei meinen frühen Beteiligungen an Aktionen (1965—1975) die Konstruktion der Arbeiten meiner Freunde von innen her studieren. Zugleich aber — einerseits durch die Mithilfe beim Photographieren der Aktionen, andrerseits durch meine Erfahrungen bei der Rezeption künstlerischer Filme —schärfte ich meinen Blick von außen auf alle möglichen Phänomene, die mich betrafen und interessierten. Ich glaube, die Form meiner photographischen Arbeit, meine bildsprachlichen Photoblätter, ist durch meine Auseinandersetzung mit dem Film bestimmt worden. Die Inhalte meiner frühen Photoblätter waren sicherlich durch das Vorbild meiner damaligen Lehrer-Freunde, sinnliche Qualitäten unmittelbar einzubringen, beeinflußt. Mit dem Dokumentieren der Aktionen von Nitsch habe ich erst relativ spät begonnen. 1979 erhielt ich von Otto Breicha den Auftrag, für die Protokolle einen photographischen Beitrag zu liefern. Von da an photographierte ich immer wieder bei Aktionen von Nitsch. Carl Aigner: Könntest Du kurz das Verständnis Deiner Dokumentationsarbeit der Nitsch-Aktionen beschreiben? Heinz Cibulka: Ich kenne die Anforderungen Hermann Nitschs an die Bild-Medien, seine Arbeit vorteilhaft zu präsentieren. Es ist mir nicht schwergefallen, diesem Anspruch zu folgen. Ich habe dabei eine Photographie entwickelt, die eine spätere Einsicht in das Werk Nitschs ermöglicht. Carl Aigner: Was sind die Kriterien, um eine spätere Einsicht zu ermöglichen? Heinz Cibulka: Eine spätere Einsicht in die Konstruktion der Aktionen von Nitsch setzt nach meiner langjährigen Erfahrung unter anderem voraus: möglichst sachliche Auflistung der Objekte und der Theaterräumlichkeiten, bei Einnahme immer wieder gleicher perspektivischer Standpunkte. Somit ist eine chronologische Lesbarkeit der Situation und des Ablaufs der Aktion gegeben. Carl Aigner: Wie siehst Du das Spannungsfeld der Darstellung zwischen den Vorstellungen von Nitsch und den Realisierungsmöglichkeiten Deinerseits? Heinz Cibulka: Ich halte das einzelne Photo vorerst noch für wertfrei, erst mit der erkennbaren Absicht der Verwendung in einem Bedeutungsumfeld erhält das Photo als Zeichen seinen Sinn. Nach dem Photographieren ergibt sich ein umfangreicher Pool von Bildern, der unterschiedlichen Anforderungen genügen kann. Neben der chronologischen Lesbarkeit habe ich genug Material für bildsprachliche Aussagen, die sich über das Assoziationsvermögen und den Bilderschatz der Betrachter aufschlüsseln. Beide Ansätze der Verwertung meiner Einzelphotos habe ich seit Jahren praktiziert, zum Beispiel mit diversen Photomappen und Dokumentationen, die Nitsch zur Bewerbung seiner Aktivitäten und in vielen Ausstellungen verwendet hat. Carl Aigner: Im Grunde bedeutet die Beschreibung Deiner Verfahrensweisen doch, daß jede Darstellung eine Form der Interpretation, eine Weise der Übersetzung ist. Wie siehst Du nach langjährigen Erfahrungen die Grenzen der Umsetzbarkeit beziehungsweise Darstellbarkeit aktionistischer Themen? Heinz Cibulka: Da jede künstlerische Äußerung eine Art von Übersetzung bedeutet, weise ich vielleicht nur auf Unterschiede innerhalb meiner Vorgangsweisen hin. Meine ungebundenen künstlerischen Arbeiten setzen in erster Linie bei Primärerlebnissen an, dabei nutze ich den Prozeß der Formulierung empfundener Eindrücke. In diesen Prozeß binde ich immer wieder Bildzitate eigener spontaner Assoziationen ein. Photographische Dokumentationen zum Orgien Mysterien Theater von Hermann Nitsch nehmen innerhalb meiner Arbeit eine Sonderstellung ein, da ich sonst keinerlei Dokumentationen mache, aus welchen, nach Wahl des Bestellers, einzelne Photos herausgenommen werden, die dann in mir unbekannten Bedeutungsverbänden genutzt werden können. Bei Nitsch mache ich eine Ausnahme, weil ich die Arbeit so gut kenne und glaube, dafür einen passenden Arbeitsrahmen gefunden zu haben. In einem gewissen Sinn ist ein Theaterstück auch als Primärerlebnis zu werten, ein Darstellungsversuch mittels Photographie, also ein künstlerischer Umsetzungsprozeß, könnte deshalb ähnlich wie bei einer «freien» photographischen Arbeit sein. Bei meinen ungebundenen «Bildgedichten» verlangt die kompositorische Arbeit aber genügend Möglichkeiten, Widersprüchen und absurden Faktoren Platz zu lassen. Eine Dokumentation mit selbst auferlegtem oder angenommenem Briefing (im Sinne einer bestimmten Absicht) verträgt aber selten ein neuerliches Einbetten in ein weiteres künstlerisches Konzept. Geschichtlich gesehen läßt sich denken, daß jene Bildzeugnisse, die später einmal die einzigen Unterlagen zu aktionistischen Theaterwerken sein werden, mit den übrigen Beschreibungen, Interpretationen, Relikten und Partituren zum eigentlichen Werk zusammenschmelzen werden. Damit beantwortet sich die Frage der Darstellbarkeit einer räumlich aufgeführten, alle Sinne beanspruchenden Aktion für mich. Die Bewertung künstlerischer Artikulationen muß in jeder Generation neu erfolgen. Dabei kann das geschichtlich aufzufassende Werk Einfluß auf zukünftige Anliegen haben, der ursprüngliche künstlerische Ansatz wird aber in der Neuformulierung eigener neuer Welten liegen. |