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Hermann Nitsch

zur objekt- und aktionskunst von cibulka

 

in: Heinz Cibulka – Frühe Aktionsrelikte, 2005

in: Bild-Material, 1993



heinz cibulka ist vorerst bekannt als einzigartiger fotograf, der diesem medium alles, was seinem wesen entspricht abverlangt. kennt man aber cibulka genauer, weiß man um seinen entwicklungsweg bescheid, so wird offenbar, dass seine ansätze und wurzeln vielfältig sind.

cibulka war freund und mitarbeiter von schwarzkogler und mir, also er half mit, die gedankenweit des om-theaters oder im weitesten sinn des wiener aktionismus in die realisation umzusetzen, er ist quasi mit dem ruf nach dem gesamtkunstwerk groß geworden, dies formte ihn entscheidend. ebenfalls verband ihn eine freundschaft zu dem filmemacher peter kubelka, der an die grenzen des filmisch übermittelbaren ging und seine kunst ins leben ausweitete. ich denke an seine kochphilosophie.

es lag damals in der luft, dass die kunst ins leben einfließen müsse und umgekehrt, das leben in die kunst.

cibulka war ebenfalls mit dem wunsch ausgerüstet, eine lebensfestlichkeit zu entwerfen, das einfache leben durch seine ritualisierung zu steigern, wir suchten zeitlose, große, innige lebensformen und formeln, die ewiger Wiederkehr unterlagen, die immer identisch waren und sind mit einem starken zeitlosen erfassen und verwirklichen des lebens.

gemeint ist jetzt die nahrungsaufnahme zuhause, in der eigenen persönlichen umgebung, im gasthaus, beim heurigen; das trinken mit der nachfolgenden trunkenheit, die zubereitung von speisen, die auseinandersetzung mit sinnlichen elementarerlebnissen, das ernten und säen von früchten, die arbeit im garten, im feld, die lebenserhaltenden handlungen - und darüberhinaus immer wieder das feiern - waren es, was uns und damit cibulka faszinierte. wir wollten diese handlungen aus dem alltag herausheben, begeistert nachvollziehen, festlich erleben, es sollte sein, wie im Vollzug eines kunstwerkes. wir wollten ästhetisch und ergriffen erleben, wie man ein kunstwerk registriert. cibulka hat diese begeisterte lebensform VOLLZOGEN. vielleicht war das der eigentliche beginn seiner vielfältigen arbeit, welcher eindeutig der wille zum gesamtkunstwerk zugrunde liegt.

cibulka beobachtete die phänomene seiner umwelt, ließ nicht zu, dass der alltag verdrängt wurde, im gegenteil, er holte ihn aus der verdrängung, er analysierte ihn und sein sichereignen, er wurde, ohne dass er es wollte zum "spurensicherer".

über neue medien, die die kunst betreffen, die die kunst für sich gewinnen kann, wird viel gesprochen. eines steht fest, dass sich die heutige kunst der technologie nicht entziehen kann, das bekamen wir deutlich zu spüren, das problem der dokumentation unserer arbeit drängte sich mit unwiderstehlicher macht auf, ja es ging sogar soweit, dass unser sich freikämpfen zu einer kunst, die nur wirkliche geschehnisse als theatralisches sichereignen gelten lassen wollte, dadurch ad absurdum geführt wurde, indem wir daran dachten, diese realen ereignisse wieder fotografisch abzubilden, zu dokumentieren. wir entwarfen eigene fotoaktionen, die in hinblick auf die fotografische dokumentation ausgerichtet wurden. schwarzkogler ging in dieser richtung sehr weit. er gestaltete szenen nur für die ausschließliche festhaltung durch die fotografie.

die kunstwissenschaftliche aufarbeitung beschäftigt sich zur zeit viel mit der rolle der fotografie im aktionismus. cibulka durchschlug den gordischen knoten, bei ihm ist die fotografie nicht notwendiges beiwerk, sondern selbstzweck, er gestaltet nicht als fotograf formalistisch, sondern er sucht das leben auf seine unverdorbene art und weise und findet es für uns alle zur lehre, indem er das normalerweise unerkannte zum mysterium erhebt.

alles vorher besprochene findet sich in cibulkas fotografie, mündet in ihr. die fotografie ist das zentrum von cibulkas gesamtkunstwerk. er hat den sprung gewagt, mitten in die technologie, um dadurch die reinste ansicht zu gewinnen, um dadurch von ihrem druck befreit zu sein.

aber nicht ohne schadenfreude muss ich feststellen, genauso wie für mich die technologie ein unvermeidliches anhängsel ist, so war es für cibulka immer eine äußerst notwendige versuchung und zu begrüßende leidenschaft, sich als objektkünstler und aktionskünstler direkt zu betätigen, er musste in das fleisch und blut der dinge direkt greifen, um sie verstehen, wahrnehmen zu können. er musste alles, was er fotografisch festhielt, seiner substanz nach direkt mit seinen sinnen erfahren, er schuf sich durch seine objekt- und aktionskunst ein alphabet, einen katalog von existenziell sinnlich begreifbaren phänomenen, die er durch seine fotografie wie leitmotive immer wieder im ereignis des lebens fand. er musste das fleisch und blut der phänomene erfahren und erkennen, dass seiendes auch ein sein hat.

mir haben die aktionistischen arbeiten und vor allem die objektmontagen sehr gut gefallen, ich bedaure es, dass er sich nicht mehr damit beschäftigt hat, aber vielleicht tut er das noch. cibulka hat eigentlich alles gemacht, er hat gezeichnet, gemalt, aktionen veranstaltet, objekte und materialbilder hergestellt, fotografiert, musik entworfen, geschrieben und theoretisiert. seine aktionen waren oft von epischer breite, ihr lyrischer charakter setzte sich auseinander mit nahrungsaufnahme, kochprozessen, nahrungsmittelzubereitung, vegetationsvorgängen, mit reife- und fäulnisprozessen. alles wurde vom kosmischen gedanken des stoffwechsels umspannt, bei seinen objektbildern, wie auch bei seinen aktionen lotete und prüfte seine elementare sinnliche wahrnehmung und ordnete die assoziationsaura der verschiedensten objekte und substanzen.

in unterteilten holzkästen waren pflanzen, früchte, hülsenfrüchte, erbsen, bohnen, fisolen, samen, mehl, erde, salz, meeressalz, brösel, brot, milch, öl, fleisch und vieles andere angeordnet und untergebracht. immer wieder beschäftigte er sich mit dem schleimigen, mit eidotter, honig, schmalz, innereien, harz, fruchtfleisch. geschmack und essen werden eingesetzt, gerüche werden demonstriert und verbreitet. eine musik, die er von seiner dramaturgie ableitet, bereichert die geschehnisse. er war gezwungen, alle medialen verästelungen und verzweigungen, die zu einem gesamtkunstwerk führen, zu füllen und pumpte letztlich alles in sein zentralereignis der fotografie.

alle aktionen und objekte, die cibulka macht, sind trotz ihrer eigenart und hohen qualität vorbereitungen und vorstufen zu seinen fotoarbeiten, sie münden in diese und sind durch diese bedingt.

diese feststellung soll seine materialarbeiten nicht abwerten, sondern im gegenteil ihren großen zusammenhang und sinnbezug zeigen. fast widerspreche ich mir, die auf den fotos gezeigten und geordneten phänomene brauchen die objekt- und aktionsarbeit von cibulka ebenso, eines bezieht sich auf das andere, ein ähnliches verhältnis haben meine aktionsmalerei und die aktionen des om-theaters zueinander.

in der zeit von 1979 bis etwa 1980 entschloss sich cibulka mit seinem bruder raimund suchanek, als er in strebersdorf am rande von wien lebte, einen acker nach dem prinzip der naturnahen kultivierung zu bebauen. dieses unternehmen veränderte seine lebensweise, brachte ihn aber näher dem wesen der natur. er konnte nun alle verwandlungsprozesse des keimens, des wurzelschlagens, des wachsens und des reifens aus nächster nähe beobachten, einleiten und lenken.

von dieser tätigkeit gingen viele anregungen aus, die in seinen objekten und aktionen verwirklicht wurden.

cibulkas aufbereitung und darlegung seiner objektkunst hat etwas einfaches klares, unverschnörkseltes, weswegen ich ihn immer bewundert habe. die einfachheit und zweckgerichtete klarheit zeichnet auch die geräte für das om-theater aus, die tragbahren, tröge, tragvorrichtungen und holzkonstruktionen sind alle von cibulka entworfen, oft wurden sie sogar von ihm realisiert.

noch eine gabe ist cibulka eigen, er ist ein wunderbarer Schreiber. er hat ein natürliches talent zur poesie, egal ob verbal oder durch seine materialkunst, kennt man seine poetischen texte, so sind sie eins mit seiner objektkunst, führen in diese. seine theoretisch-philosophischen texte habe ich immer wegen ihrer heiteren klarheit und bis zur mystik sich steigernden konsequenz geliebt.

doderer sagte einmal: "dichter empfinden sinnlich intensiver als normale menschen" in dieser richtung ist das objektwerk und eigentlich überhaupt das gesamtwerk von cibulka zu verstehen, der normalmensch empfindet vieles unterschwellig, die verdrängung diktierende zivilisation erlaubt nicht, dass das elementar sinnliche zur vollen registration gelangt, es wird abgedrängt ins ekle. cibulka durchbricht die barriere der zivilisation und zeigt uns mehr, tieferes, wesentlicheres, substantielleres.

meine analyse der sinnlich intensiv zu registrierenden außenweltphänomene beschäftigte sich mit dem mythos, mit kult und ritual. über das kollektive unbewußte gelangte ich zur erkenntnis der wichtigkeit gewisser substanzen wie blut, fleisch und eingeweide, milch, fett, honig, brot, wein, kot. der rituell durchstilisierte jüdische tagesablauf, die jüdischen opfervorschriften, die kulte und rituale der primitiven völker, die mythen und kultformen aller völker, besonders der kult und mythos des christentums ließen mich erkennen, dass gerade jene sinnlich intensivst erfahrbaren substanzen, deren radikale erfahrung die zivilisation verdrängt, in den ekel abschiebt, in den kulturbereichen eine große rolle spielen, ins bewußtsein gedrängt werden. über die religion oder durch die religion wird rückhaltloses empfinden, intensität gefordert, zumindest in eine bestimmte richtung. wenn ich mich also über stilisierte bereiche des mythischen introvertiert, die psychoanalyse benutzend der sinnlichen Intensität näherte, war dies bei cibulka anders. er suchte das sinnliche im alltagsleben, im arbeits- und tagesablauf des bauern, des weinbauern, im wirtshaus, beim heurigen. dort fand er all die genannten substanzen, in der küche einfacher häuser, im normalen, natürlichen zusammenleben der menschen, er beobachtete das archaische der jagd, er sieht die arbeit des fleischhauers, das schlachthaus, aber ebenso den imker, den winzer bei der weinernte, sowie er die kirtagsfeste und die daraus entstehenden freuden registriert. die wesentlichen substanzen von brot und wein, welche der priester während des ablaufes der messe konsekriert, bzw. die konsekrationshandlung sieht er als wesentlichen teil und zentrum eines volksfestes an. ein 2000 jahre alter mythos ehrt die grundnahrungsmittel und macht ihre verwandlung in die substanz des gottes zum tiefsten mysterium des christlichen glaubens.

pralle weintrauben sieht cibulka nicht als früchte des dyonisos an, sondern als süße Weinbeeren, die dem winzer, als auch dem weintrinker nützlich sind. cibulka enthebt die sinnliche erfahrung des mythischen überbaues, der mythischen bindung, ohne dass sich der mythos von der tiefe her nicht

doch assoziiert, als das ewig gleiche der wiederkehr von geburt und tod, von freude und dem tragischen des leidens, von kreuz und auferstehung. er hat alles in eine Offenheit gebracht, in eine schuberthafte heiterkeit.

die fotografie cibulkas ist resultat innigster, weitläufigster multimedialer interdisziplinärer auseinandersetzung. das medium der fotografie fasst alles zusammen, bringt es über die technologie zum extrakt. diese ausstellung demonstriert die empfindungsvielfalt von cibulka, zeigt die wurzeln und ursprünge seiner kunst. das meiste, was in diesem buch zu sehen ist, ist bereits kunstgeschichte, man sieht eindeutig, wie das spezifisch wienerisch österreichische, weinviertlerische eingebunden bzw. bedingt ist und zusammenhängt mit großen bewegungen der weltkunst, ich denke

an arte povera, spurensicherung, prozesskunst und natürlich an die happening- und performance-bewegung.

cibulka hat diese Strömungen mitgeprägt und einen wichtigen beitrag geleistet, genaugenommen ist mir aber cibulkas arbeit deshalb lieb, weil man sie letztlich in kein schema pressen kann.

 

Zum Anlass der Ausstellung im Niederösterreichischen Landesmuseum/Wien und des begleitenden Kataloges "Bild-Material" im Juli 1993


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