Dienstag, 29. 6. 1999
Frühstück und Abschied von Wilhelm, meinem neuen chinesischen Du-Freund und von einer chinesischen Provinz, die mich trotz fast dauernden Regens sehr beeindruckt hat. Ein berührend trauriger Abschied am Flughafen wird getröstet von unserem Willen und der Hoffnung auf ein Wiedersehen in China oder vielleicht auch einmal in Österreich.
Nach kurzem Flug sind wir in Shanghai, der letzten von mir auf dieser Reise besuchten Stadt und Provinz Chinas.
Wir werden von einer Kulturbeamtin abgeholt und mit einem schwarzen Dienstwagen ins Zentrum von Shanghai gefahren. Der Chauffeur hat in der Mitte des Wagens vor dem Fenster demonstrativ eine garnicht so kleine Königskrone aufgestellt. Es sieht aus, als wäre es ein symphatisierendes Zeichen für die englische Königskrone, er trägt graue Handschuhe zu seiner Uniform und gibt sich vornehm und diskret.
Wir fahren etwa eine dreiviertel Stunde bis zu unserem Hotel, über eine Autobahn an zumeist neugebauten oder in Bau befindlichen Hochhäusern und Wolkenkratzern vorbei. In den letzten 10 Jahren soll hier sehr vehement an der Erneuerung der Stadt gearbeitet worden sein. Das ist überall zu spüren und von unserem Hotel aus besonders gut zu sehen. Von hier aus habe ich einen wunderschönen Blick auf einen riesigen Hafen und den neu entstandenen Stadtteil Shanghais. Das Gesamtunternehmen der Stadtplanung, sowie viele der einzelnen Bauten, bewegen sich in Dimensionen der Superlative. Am Erscheinungsbild der hier inszenierten Außenwerbung ist eine gewaltiger Chor internationaler Zusammenarbeit erkennbar.
Das Mittagessen ist von unserer neuen Begleiterin, einer weltoffenen Managerin an einem besonderen Fenster des Hotelrestaurants bestellt worden. Von hier aus ist ein 418 Meter hoher Turm zu sehen, der dritthöchste Wolkenkratzer der Erde, wie es hier heißt, inmitten vieler anderer bemerkenswerter Bauten. Auf dem riesigen vorbeifließenden Yangtsekiang sind unzählige große und kleine Schiffe, sowie viele Schlepper zu sehen. Die Stadt soll eines der wichtigsten und dynamischsten Aushängschilder Chinas im wirtschaftlichen Wettlauf sein. Hier soll mittels florierender Kontakte mit dem Westen viel Geld für das ganze Land China eingenommen werden.
Das Hotel in welchem ich untergebracht bin, ist im Stil der ehemaligen kollonialen Situation gebaut worden und noch weitgehend erhalten geblieben. Die ganze Hotel-, Banken- und Häuserfront an dieser Seite des Hafens ist in unterschiedlichen Formen Zeichen westlicher Präsenz in China vor der kommunistischen Ära. Heute dienen diese Fassaden und Symbole ehemaliger fremder Machthaber, gut beleuchtet, neben den neuen architektonischen Zeigemalen chinesischer Gegenwart weiterhin als historische Schmuckstücke der Stadt.
Vom noblen Fensterplatz des Hotels aus werde ich beeindruckt von den Dimensionen eines Landes, die ich mir nicht wirklich vorstellen kann.
Da habe ich es noch leichter mit Laotse, welcher auch von Chinesen nur sehr bedingt verstanden wird, bzw verstanden werden kann, wie mir hier gesagt wird. Meine Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Schriften des Taoismus, vor allem mit Übersetzungen des Tao the king hat sich durch meine Erlebnisse hier im Land tendenziell nicht ändern müssen. Diese genialen Schriften stehen schwerelos im Raum und nahezu unangetastet in der Realität der Gegenwart, sie sind, wie es aussieht genauso gültig und genauso unbemerkt wie eh und je. Auf seherischen Humus fallend blühen sie zum Himmel auf und können alles Denk- und Spürbare erfüllen .
Als erstes werde ich heute in einen riesigen basarartigen Markt geführt. In unzähligen engen Kojen, die ganz eng nebeneinander gereiht sind, werden abertausende Artikel angeboten. Objekte, die auch überall auf der Welt zu kaufen sind, weil sie hier so billig erzeugt werden. Hin und wieder sehe ich hier aber auch schöne Gebrausgegenstände aus China, die mir sehr gut gefallen. Die Versuchung, von hier das eine oder andere zu kaufen und mitzunehmen ist sehr groß. Bis auf wenige Dinge habe ich aber schon meinem selbständig gewordenen Zwang, Exotisches mitzunehmen, zu widerstehen gelernt.
Nach dem rauschhaften Schauen in den zehntausend Dingen chinesischer Hand- und Maschinenarbeit werde ich in den historischen Stadtgarten von Shanghai geführt. Hier ist es ruhiger, trotzdem sind hier immer noch sehr viele Menschen. Hier fallen die Fremden im Verhältnis zu den chinesischen Besuchern mehr auf, als auf den Straßen.
Auch in dieser Anlage ist der abgestimmte Zusammenklang architektonischer und gartenarchitektonischer Formen auffällig. Wasser als Element der Gestaltung ist immer ganz gezielt eingesetzt, wie Natursteine, Pflanzen und architektonische Bauwerke. Lackierte Holzsäulen, die geschwungene schwere Dächer zu tragen haben, plastisch erhabene Schriften und Ornamente, Toröffnungen mit vorbestimmten Durchblicken, Lotusblumenblätter, lanzettenförmige Weidenbaumblätter an wiegenden Ästchen, rot schimmernde Goldfische, Tuschemalereien, Geruch von Räucherstäbchen, Gongs, Menschenstimmen mit Merkmalen von Führerinnen und Führern, manchmal ist auch alte chinesische Musik über Lautsprecher zu hören. Auch ohne viel Wissen um die Reichhaltigkeit chinesischer Kultur wird man hier umfassend von einem großartigen Gesamtkunstwerk beeindruckt.
Auf den Straßen vor den Tempelmauern braust der Wille zum Leben in der Gegenwart aus vielen Millionen Enegiebündeln Mensch. Am Abend gibt es wieder ganz besonders gutes und feines Essen.
Danach gehe ich noch in der Stadt spazieren. Ich gerate am Kai, nahe der berühmten Hotel- und Bankenzeile in ein Rudel von vielen vielen Chinesen. Die meisten sind junge Paare oder kleinere bzw. größere Gruppen von Burschen oder jungen Frauen. Abseits ist es dunkler, die Menschen wirken nicht mehr so bunt wie vorher, es beginnt zu regnen und ich schaue, daß ich zurück ins Hotel komme.
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